Werbung



Unzureichende Finanzierung von Krankenhausleistungen belastet das Klinikum Nordfriesland

Add to Flipboard Magazine.
NF-Magazine
5/5 - (1 vote)

(CIS-intern) – Unzureichende Finanzierung von Krankenhausleistungen belastet das Klinikum Nordfriesland und fordert Kreis- und Gemeindehaushalte immer stärker

Es wächst und wächst, das Defizit der Klinikum Nordfriesland gGmbH. „Allein aus den letzten drei Jahren fehlen uns mehr als 11,3 Millionen Euro“, erklärt Geschäftsführer Stephan W. Unger.

Foto: Mario De Mattia

Florian Lorenzen sitzt als Landrat auch dem Aufsichtsrat des Klinikums vor. Ihm ist klar, woran es liegt: „Der Fehler liegt im System. Der Bundesrechnungshof hat festgestellt, dass 40 Prozent der Krankenhäuser in Deutschland mit Verlust arbeiten. Wenn der Bund die Rahmenbedingungen nicht ändert, gerät eines der wichtigsten Elemente der Daseinsvorsorge in ernsthafte Gefahr. Das kann niemand wollen.“

 

Am 17. September 2021 beschloss der nordfriesische Kreistag über alle Parteigrenzen hinweg einstimmig zwei Resolutionen in dieser Richtung: Die eine fordert von der nächsten Bundesregierung einen Ausgleich der hohen Vorhaltekosten, die bedarfsnotwendige Kliniken in ländlichen Regionen mit zwangsläufig geringerer Bettenbelegung belasten. Die andere fordert, dass die Krankenkassen die von Kliniken eingereichten Rechnungen weiterhin innerhalb von fünf statt, wie vorher, bis zu 30 Tagen bezahlen müssen. Eine solche Regelung wurde während der Corona-Pandemie eingeführt, soll aber ab Januar 2022 wieder gestrichen werden. Ein Unterschied von bis zu 25 Tagen zwischen Rechnungsstellung und Geldeingang macht auch bei kleineren Kliniken in der Liquiditätsplanung hohe siebenstellige Beträge im Jahr aus.

 

„Auch im Namen unseres Kreistages appelliere ich dringend an die Bundespolitik, kurzfristig eine Verlängerung der Fünf-Tage-Regelung zu beschließen. Anderenfalls drohen vielen Kliniken ab dem 1. Januar tiefgreifende Liquiditätsengpässe“, unterstreicht Florian Lorenzen.

 

Festlegung der Standorte von Kliniken

Auch in dünnbesiedelten ländlichen Räumen stellt die ortsnahe medizinische Notfallversorgung der Bevölkerung einen unverzichtbaren Teil der Daseinsvorsorge dar. Dafür ist ein Mindestangebot medizinischer Leistungen erforderlich. Dieses Mindestangebot verursacht die Vorhaltekosten eines Krankenhauses.

 

Zur gemeinnützigen Klinik-GmbH des Kreises gehören drei Akutkliniken an den Standorten Husum, Niebüll und Wyk auf Föhr. Fiele einer davon weg, müssten Notfallpatienten deutlich weiter als 40 Kilometer bis zum nächsten Akutkrankenhaus gefahren werden – eine Entfernung, die für manchen zu lang sein könnte. Deshalb gelten die 40 Kilometer als grundsätzlicher Standard in Deutschland, auch wenn sie nicht überall eingehalten werden können.

 

Faktoren für die Größe von Kliniken

Anders als der Standort, ergibt sich die Bettenzahl von Kliniken aus der Bevölkerungszahl im Versorgungsgebiet. Auch hierfür gibt es Standardvorgaben. „Unsere Struktur mit drei Kliniken in unterschiedlicher Größe passt gut zum Bedarf im Kreisgebiet. Aber die sich daraus ergebenden Kostenstrukturen werden bei der bundesweit einheitlichen Vergütung gleichartiger Behandlungen nicht ausreichend berücksichtigt“, bringt Geschäftsführer Unger die heikle Situation der Kliniken in ländlichen Räumen auf den Punkt. Die zu geringe Vergütung schlage sich seit Einführung des derzeitigen Abrechnungssystems für stationäre Leistungen – das sogenannte DRG-Fallpauschalensystem – im Jahr 2004 in den Jahresabschlüssen der nordfriesischen Kliniken nieder. Das gelte ebenso für viele weitere Krankenhäuser in ganz Deutschland.

 

Corona verschärft die Lage

Die Covid-19-Pandemie hat die schwierige Situation zusätzlich verschärft. Durch die Lockdowns, die Einrichtung von Isolationsbereichen, die Abstandsregeln und die zeitweise Einschränkung der zeitlich frei wählbaren medizinischen Leistungen verzeichnen die Krankenhäuser in Deutschland fast durchgängig erhebliche Rückgänge ihrer Fallzahlen.

 

Derzeit verzeichnet das Klinikum Nordfriesland durchschnittlich 15 Prozent weniger Patienten als vor der Pandemie. Dadurch fehlen Einnahmen, während die Kosten aufgrund der Hygiene- und Sicherheitsmaßnahmen und der phasenweise extrem gestiegenen Materialpreise sogar angewachsen sind.

 

Kreis Nordfriesland stellt in vier Jahren 33 Millionen Euro bereit

„Der Kreis Nordfriesland steht in vollem Umfang hinter seinem Klinikum“, betont Landrat Florian Lorenzen. Dies spiegelt sich auch in der Beschlusslage des Kreistages wider: Unter anderem aufgrund der jährlichen Verluste stimmten die Kommunalpolitiker im Dezember 2020 nach 2016 ein weiteres Mal einer Eigenkapitalerhöhung zu, um das Klinikum abzusichern und wettbewerbsfähig zu halten. Allein von 2018 bis Ende 2021 stellt der Kreistag insgesamt 26 Millionen Euro bereit – zusätzlich zu Investitionszuschüssen von sieben Millionen Euro.

 

„Es ist völlig ausgeschlossen, dass das dauerhaft so weitergehen kann. Dafür reicht unsere Finanzkraft schlichtweg nicht aus. Wir sind zwingend auf die finanzielle Unterstützung des Bundes angewiesen“, stellt Landrat Lorenzen fest. „Die neue Bundesregierung muss das Fallpauschalensystem schnellstmöglich reformieren.“

 

Kreise und Gemeinden als dritte – rechtlich nicht vorgesehene – Finanzquelle

Die Finanzierung von Kliniken ruht auf zwei Säulen: Die Länder zahlen die Investitionskosten, während die Kostenträger, also insbesondere die Krankenkassen, die laufenden Personal- und Sachkosten übernehmen. Dafür dient das reformbedürftige Fallpauschalensystem. Direkte Zuschüsse der Kreise und Kommunen sieht der Gesetzgeber gar nicht vor.

 

Die Haushalte der schleswig-holsteinischen Kreise speisen sich aus Mitteln des Landes und aus der Kreisumlage, die ihre Kommunen aufbringen. In Nordfriesland macht sie rund ein Fünftel des Kreishaushaltes aus. Der finanzielle Unterstützungsbedarf des Klinikums verursacht derzeit vier bis fünf Prozentpunkte der Kreisumlage. Mit anderen Worten: Der Kreis Nordfriesland und seine Gemeinden bezuschussen die laufenden Kosten des Klinikums in diesem Jahr mit rund elf Millionen Euro und entlasten so die Krankenkassen, obwohl der Bund als Gesetzgeber das gar nicht vorsieht.

 

Gesundheitsminister Dr. Garg schlug Basisfinanzierung vor

Florian Lorenzen erinnert an eine Initiative, die der schleswig-holsteinische Gesundheitsminister Dr. Heiner Garg im Jahr 2019 in die Gesundheitsministerkonferenz (GMK) einbrachte. Sie ging in einen umfassenden Beschluss aller Länder zur Reform der Krankenhausfinanzierung ein.

 

Garg schlug eine Basisfinanzierung für die akutstationäre Versorgung mit ihren spezifischen Vorhaltekosten einschließlich Personalkosten vor. Sie sollte die leistungsbezogenen Fallpauschalen ergänzen. Nicht allein die Größe eines Krankenhauses, sondern seine Bedeutung für die Versorgung der Bevölkerung in einer Region sollte für die Höhe der Basisfinanzierung und damit der Finanzierung der spezifischen Vorhaltekosten maßgeblich sein.

 

„Die GMK hat diesen Vorstoß am 6. Juni 2019 einstimmig beschlossen. Es wird dringend Zeit, ihn nun auf Bundesebene in die Tat umzusetzen. Anderenfalls werden etliche kommunale Haushalte überfordert werden“, fordert Landrat Florian Lorenzen.

 

Nach dem Beschluss der GMK 2019 wurde eine Arbeitsgruppe aus Bund und Ländern beauftragt, das Finanzierungssystem entsprechend dem Kieler Vorschlag zu überarbeiten. Kurzfristig hilft das dem Kreis Nordfriesland und den vielen weiteren Klinikträgern in Deutschland jedoch nicht.

 

Verwaltungschef Lorenzen befürchtet, dass die Kommunalpolitik in Nordfriesland bald vor der Entscheidung stehen könnte, die Neuverschuldung zu erhöhen, in Bereichen wie Soziales und Wirtschaftsförderung Einschnitte vorzunehmen oder notwendige Initiativen etwa im ÖPNV und Klimaschutz nicht umzusetzen. Parallel dazu steht Geschäftsführer Stephan W. Unger permanent vor der Aufgabe, seinem Aufsichtsrat Einsparmöglichkeiten vorzuschlagen.

 

Unzureichende Investitionsförderung vergrößert Defizit

Zum Defizit der nordfriesischen und vieler anderen Kliniken trägt zudem die unzureichende Finanzierung von Investitionen bei. Für Investitionen sind die Länder gemeinsam mit den Kreisen und kreisfreien Städten verantwortlich. „Allerdings sind die Länder ihrer Verpflichtung in den letzten Jahrzehnten nur ungenügend nachgekommen – und zwar alle Bundesländer“, erläutert Stephan W. Unger. Daher sind etliche Kliniken in Deutschland gezwungen, umfangreiche Eigenanteile an ihren notwendigen Investitionen selbst zu tragen. Investitionskostenanteile sind aber systembedingt nicht Bestandteil der Fallpauschalen. Diese decken nur die reinen Behandlungskosten. Dieser Missstand trägt auch dazu bei, dass die Kliniken entweder Verluste schreiben oder am Personal und den Sachkosten sparen müssen.

 

Ob weitere staatliche Hilfen, insbesondere das Covid19-Krankenhausentlastungsgesetz, noch angepasst werden, bleibt abzuwarten. Dabei forderte selbst der Bundesrechnungshof im letzten Jahr, es müsse sichergestellt sein, dass alle benötigten Krankenhäuser auskömmlich finanziert werden.

 

Hintergrund: Bürgerentscheid fordert Weiterentwicklung des Klinikums

Das Klinikum Nordfriesland gGmbH ist eine 100-prozentige Tochtergesellschaft des Kreises Nordfriesland. Am 7. Mai 2017 wurde ein Bürgerentscheid mit dem Titel „Weiterentwicklung der Klinikum Nordfriesland gGmbH“ durchgeführt. Mit 87,4 Prozent Zustimmung entschied eine große Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger, dass der Kreis Nordfriesland die Weiterentwicklung der Klinikum Nordfriesland gGmbH mit ihren jetzigen Standorten Husum, Niebüll und Wyk auf Föhr sowie den medizinischen Versorgungszentren durch den Einsatz vom Land in Aussicht gestellter Zuschüsse fortsetzen soll.

 

In der Folge wurden die Planungen für umfangreiche Investitionsvorhaben zur Erweiterung und Modernisierung der Klinikstandorte vorangetrieben. Erste Maßnahmen sind abgeschlossen, weitere befinden sich in der Umsetzung. Ein ständiger vertrauensvoller Austausch zwischen Träger und Klinikum Nordfriesland trägt dazu bei, dieses Projekt zum Wohle der Bürgerinnen und Bürger umzusetzen.

 

Mit Beschluss des Kreistages vom 14. Dezember 2018 hat der Kreis zugesagt, ergänzend zur Landesförderung die Investitionen zur Umsetzung des Zukunftskonzeptes insgesamt mit Kreismitteln in Höhe von 18 Millionen Euro zu unterstützen.

Nächster Beitrag

Nordfriesland: Schweinepest erfordert extreme Vorsichtsmaßnahmen bei der Bergung von Tieren

5/5 - (1 vote) (CIS-intern) – Wenn die Afrikanische Schweinepest (ASP) nach Nordfriesland kommt, werden Wildschweine in der freien Natur an der Krankheit sterben. An den Kadavern können sich weitere Schweine infizieren. Wie lässt sich totes Schwarzwild finden? Welche Vorsichtsmaßnahmen sind bei der Bergung einzuhalten? Mit diesen Fragen befasste sich […]
Copyright All right reserved With Love Theme: Seek by ThemeInWP