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Wie der Schulabsentismus in Nordfriesland bekämpft wird – Schulschwänzer-Probleme beheben

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Bild von Kohji Asakawa auf Pixabay

(CIS-intern) –  Längeres und wiederholtes Fernbleiben von der Schule kommt bundesweit und auch in Nordfriesland immer häufiger vor. Ab elf Fehltagen pro Halbjahr beginnt man dabei, von Schulabsentismus zu sprechen, bei bis zu 20 Fehltagen von einem „problematischen“ Verhalten, bei 21 bis 40 Fehltagen von einer „gravierenden“ Problematik und ab 41 Tagen pro Halbjahr von einem „massiven“ Absentismus. Dabei gilt es natürlich, berechtigte Versäumnisse von Schulstunden durch körperliche oder seelische Erkrankungen zu berücksichtigen. Kreisweit sind die auf der Grundlage der bei den Schulen erhobenen Zahlen der massiven Schulabsentismus-Fälle von 26 Fällen im Jahr 2018 auf 131 Fälle im Jahr 2023 gestiegen.

„Die negativen Folgen liegen auf der Hand. Wir versuchen zu helfen, indem wir auf die betreffenden Kinder, Jugendlichen und ihre Eltern zugehen. Weil es vielfältige Gründe für den Schulabsentismus gibt, arbeiten Schulamt, Gesundheitsamt, der Schulpsychologische Dienst, Jugendamt, Schulen und andere Netzwerkpartner eng zusammen“, erläutert Landrat Florian Lorenzen.

Nach Corona hat die Häufigkeit deutlich zugenommen. Manche Eltern behielten ihre Kinder aus Angst vor einer Corona-Infektion auch nach dem Ende der Pandemie zu Hause, als die Schulen wieder geöffnet waren. Manche klagten sogar vor dem Verwaltungsgericht, um die Schule zur weiteren Erteilung des aus der Zeit der Pandemie bekannten Fernunterrichts zu verpflichten – allerdings vergebens. „Kinder und Jugendliche entwickeln sich deutlich besser, wenn sie täglich in der Schule mit Gleichaltrigen zusammenkommen. Ohne diese Kontakte fehlt ihnen etwas, und das kann sehr negative Folgen haben“, betont Dr. Susanne Ehlert, die Leiterin des Kinder- und Jugendgesundheitsdienstes im Gesundheitsamt.

 

Gründe für Schulabsentismus

Bleiben Kinder und Jugendliche der Schule fern, liegen die Ursachen meist tiefer. „Ein zunehmendes Thema ist jedoch auch die Mediennutzung, die vielen Familien vollkommen entglitten ist“, berichtet Dr. Ehlert. „Wer ständig auf TikTok oder Instagram unterwegs ist, dem fehlt die Zeit für die Vor- und Nachbereitung des Schulstoffes.“ Ihr ist ein zwölfjähriger Junge bekannt, der nachts nicht schlafen konnte. „Ich habe ihn gefragt, was er tut, um einschlafen zu können. Seine Antwort: Er sieht sich Horrorfilme an. Seit er damit aufgehört hat, schläft er besser“, weiß die Ärztin.

 

In einem anderen Fall fragte sie Eltern, ob sie ihren Kindern abends vorlesen – ein bewährtes Einschlafritual. „Die Antwort: Nein, man habe ja Privatfernsehen. Eltern, die am Bett ein paar Seiten aus einem Buch vorlesen, helfen Kindern jedoch deutlich besser in den Schlaf als aufregende TV-Sendungen“, sagt Ehlert.

 

Auch gibt es Eltern, die einen Schulbesuch in Präsenz generell in Frage stellen – es habe in Pandemiezeiten ja schließlich auch anders funktioniert, wird dies dann oft begründet.

 

Lehrkräfte mit Haltung

„Es trägt enorm zur Motivation bei, wenn Kinder sich in der Schule wohlfühlen“, erklärt Jytte Stappert. Sie leitet die Insel- und Halligschool Nordstrand. Schulrätin Britta Lenz und ihr Kollege Thomas Nonn haben Jytte Stappert gebeten, zusätzlich die Aufgaben einer Absentismusbeauftragten des Schulamtes zu übernehmen. In dieser Funktion steht sie allen Schulen im Kreisgebiet als Beraterin zur Verfügung. „Es kommt auf die Haltung der Schule und der einzelnen Lehrkräfte an. Je besser es ihnen gelingt, eine persönliche Bindung zu ihren Schülerinnen und Schülern aufzubauen, desto weniger Stunden werden geschwänzt“, stellt sie fest.

 

„Kinder und Jugendliche spüren, ob Lehrkräfte sich ernsthaft für sie interessieren oder nicht“, bestätigt Susanne Ehlert. Sie betont die Bedeutung regelmäßiger Beziehungsarbeit: Wer als Lehrkraft Empathie zeige, die Schüler nach ihrem Befinden frage und bei Sorgen und Nöten ansprechbar sei, könne viele Probleme bereits im Entstehen lösen helfen. Doch auch das reicht leider nicht immer.

Vorgehen bei Schulabsentismus
Die Lehrkräfte bemerken als erste, ob ein Kind häufig dem Unterricht fernbleibt. Jede Schule bietet ihren Pädagogen eine sogenannte „Tridemberatung“ an, in der zumeist eine spezialisierte Lehrkraft, eine Förderschul-Lehrkraft und ein Schulsozialarbeiter solche Fälle mit ihnen besprechen. In Einzelfällen wird auch die Schulleitung hinzugezogen. Je nach den individuellen Umständen leiten sie unterschiedliche Maßnahmen in die Wege. Beispiele sind Gespräche mit dem Kind und den Eltern, ein Kontakt mit dem Jugendamt oder die Hinzuziehung des Schulpsychologischen Dienstes, der für die allgemeinbildenden Schulen und Ersatzschulen im Kreisgebiet zuständig ist.

 

Die Schulen haben zudem die Möglichkeit, einen gegebenen Fall anonym in einem aus verschiedenen Experten bestehenden sogenannten „Fallforum“ zu besprechen.  Auch Dr. Susanne Ehlert und die beiden Diplom-Psychologen des Sozialpsychiatrischen Dienstes im Gesundheitsamt nehmen regelmäßig an solchen Beratungsgesprächen teil. „Wir gehen dann den gesamten Instrumentenkasten durch, der uns zur Verfügung steht, und legen die am besten geeigneten Maßnahmen fest“, berichtet die Ärztin. Neben vielen anderen Dingen wird dann gegebenenfalls auch erörtert, ob weitere Spezialisten, Psychotherapeuten, Kliniken etc. mit ins Boot geholt werden müssen. Seltener muss auch mal ein Wechsel der Klasse oder gar der Schule in Betracht gezogen werden.

 

Fehlt ein Kind mehr als zehn Tage lang nur mit schriftlicher Entschuldigung der Eltern oder legt es wiederholt Krankmeldungen von unterschiedlichen Ärzten vor, kann die Schule von den Eltern verlangen, für jeden weiteren Fehltag ein ärztliches Attest vorzulegen. In solchen Fällen bieten die Schulen den Eltern als Serviceleistung ein Heft mit Attest-Formularen an. Dieses ermöglicht es ihnen, die Krankheitsgründe ihrer Kinder über die Jahre hinweg im Auge zu behalten, um erforderlichenfalls Maßnahmen einleiten zu können.

Wenn alle Bemühungen erfolglos bleiben und das Kind, der Jugendliche und die Eltern keine nachvollziehbaren Gründe für ihren Verstoß gegen die Schulpflicht angeben können, kann die Schule über das Schulamt und das Bildungsministerium sogenannte Zwangsgelder festsetzen. Sie müssen nur bezahlt werden, wenn das Kind dem Unterricht weiterhin fernbleibt, steigen aber von Mal zu Mal an.

 

Kindergärten bereiten auf Schulbesuch vor
Dem Gesundheitsamt fällt bei seinen jugendärztlichen Untersuchungen immer wieder auf, wie wichtig der Besuch eines Kindergartens als Vorbereitung für die Schule ist. Dort werden die Kinder gezielt gefördert. Dazu gehören auch die Sprachförderung oder die Handhabung von Schreibstiften, die eingeübt sein sollte, um in der ersten Klasse Buchstaben schreiben zu können. „Wir erleben immer wieder Kinder, die nicht im Kindergarten waren und vieles noch nicht können, was ihren Mitschülern ganz leicht von der Hand geht. Ich rate allen Eltern dringend, ihren Kleinen ab drei Jahren den Besuch einer Kindertagesstätte zu ermöglichen. Das hilft ihnen sehr“, unterstreicht Dr. Ehlert.

Absentismus-Prävention als Daueraufgabe
Landrat Florian Lorenzen und seine Fachleute stellen sich darauf ein, dass die Kreisverwaltung noch lange mit dem Thema Schulabsentismus zu tun haben wird. Sie ergänzen die Arbeit der beschriebenen Strukturen etwa mit dem kürzlich ausgelobten Wettbewerb „Schule macht Sinn – geh hin“. Er soll Schulklassen motivieren, sich ernsthaft und kreativ mit dem Thema zu befassen. Für diese und weitere Maßnahmen hat der Jugendhilfeausschuss des Kreises insgesamt 10.000 Euro zur Verfügung gestellt.

 

Das Schulamt sendet allen Schulen im Kreisgebiet zudem regelmäßig das „Motto des Monats“ zu, um die Lehrkräfte zu motivieren, sich über damit verbundene Ideen und Maßnahmen auszutauschen.

 

Demnächst erhalten die Schulen Informationen in Form von QR-Codes, die sie zu den wichtigsten Internetseiten von Organisationen führen, die bei Schulabsentismus eingeschaltet werden können. Darüber hinaus beteiligt sich der Kreis an einer Arbeitsgruppe auf Landesebene, die das Thema weiterverfolgen wird.

 

In ihr Landeskonzept gegen Schulabsentismus hat die Landesregierung sehr viele Ideen aus dem bereits zuvor fertiggestellten Konzept des Kreises übernommen. Das Schulamt hat den Schulen ein Plakat zur Verfügung gestellt, das die Handlungsempfehlungen des Landeskonzepts in einem übersichtlichen Flussdiagramm darstellt.

 

„Der Kampf gegen den Schulabsentismus bleibt wichtig. Denn wer viele Stunden versäumt oder die Schule ohne Abschluss verlässt, hat deutlich schlechtere Chancen, sich eine Zukunft aufzubauen und wird wohlmöglich sein Leben lang unter den Versäumnissen seiner frühen Jahre leiden. Kein Kind und kein Jugendlicher dürfen verloren gehen“, fasst Florian Lorenzen zusammen.

 

Das Landeskonzept zum Schulabsentismus ist unter https://t1p.de/4yrxj einsehbar.

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