Eines steht fest: Das Rettungs-Einsatz-Fahrzeug (REF) kann eine Lösung für eine schnelle medizinische Hilfe im Kreisgebiet sein und die Notfallversorgung in der Region nachhaltig verbessern. Vier Jahre lang wurde das REF als Einsatzmittel im Rettungsdienst Nordfriesland getestet – wissenschaftlich begleitet vom Institut für Rettungs- und Notfallmedizin (IRuN) des Universitätsklinikums Schleswig-Holstein. Im Herbst wurden die Ergebnisse des Pilotprojekts im Husumer Kreishaus rund 50 geladenen Gästen präsentiert. Darunter: Vertreter des Gesundheitsministeriums und der Krankenkassen als Kostenträger, der Kassenärztlichen Vereinigung Schleswig-Holstein, der Koordinierungsstelle Rettungsdienst im Landkreistag sowie interessierte Rettungsdienste aus unterschiedlichen Landesteilen.
„Wir leben in Nordfriesland in einem Flächenkreis, in dem die Wege lang sind. Die Rettungswachen wurden in den 1990-er Jahren zwar in der Fläche verteilt, aber der Straßenverkehr hat seitdem stark zugenommen, ohne dass die Straßen entsprechend ausgebaut worden wären. Kreisverkehre, Verkehrsberuhigungsmaßnahmen und der schlechte Zustand vieler Asphaltdecken senken die mögliche Höchstgeschwindigkeit für Einsatzfahrzeuge weiter ab. Hinzu kommt, dass sich mit dem steigenden Durchschnittsalter der Bevölkerung auch die Zahl der Notfälle erhöht, während die Zahl der verfügbaren Fachkräfte abnimmt“, beschrieb Landrat Florian Lorenzen die Ausgangslage.
Er ergänzte: „Gerade in den ländlichen, abgelegenen Gebieten ist eine schnelle professionelle Versorgung jedoch lebensrettend. Die Motivation, das Pilotprojekt durchzuführen, war daher groß. Wir wollten herausfinden, ob sich die sogenannten therapiefreien Intervalle zwischen dem Eingang eines Notrufs und dem Eintreffen des Rettungspersonals am Einsatzort sowie die vor-Ort-Zeit des transportierenden Rettungsmittels durch ein REF verkürzen lassen. Gleichzeitig wollten wir wissen, ob unsere Rettungswagen dadurch entlastet werden können und die rettungsdienstliche Versorgungssituation in Nordfriesland weiter verbessert werden kann.“
Qualifizierte Erstversorgung
REF sind medizinisch vollausgestattete Pkws, die mit einem Notfallsanitäter oder einer Notfallsanitäterin besetzt sind. Sie haben unter anderem einen Sauerstoffrucksack, ein EKG-Gerät, einen Defibrillator, eine Trauma- und eine Kindertasche sowie ein Beatmungs- und ein Thoraxkompressionsgerät mit an Bord.
„Die Besatzung eines REF übernimmt die Erstversorgung eines Patienten. Dazu gehören beispielsweise Reanimations- und Beatmungsmaßnahmen und die Gabe notwendiger Medikamente. Sobald ein RTW eintrifft, meldet sie sich der Rettungsleitstelle wieder als einsatzbereit und verfügbar. Sie hat so schnell und effektiv Hilfe geleistet, bevor der Patient weiter versorgt und in eine Klinik gebracht wird“, erklärte Jens-Peter Lindner, Leiter des Rettungsdienstes Nordfriesland.
„Darüber hinaus trifft die Besatzung vor Ort aber auch die Einschätzung, ob Rettungswagen und Notarzt überhaupt benötigt werden, sodass diese abbestellt oder gar nicht erst alarmiert werden und somit anderweitig genutzt werden können. In diesen Fällen übernimmt die REF-Besatzung zudem die Einsatzdokumentation“, berichtete Lindner.
Im Januar 2020 fiel der Startschuss für das Pilotprojekt, das nach einer pandemiebedingten Verlängerung Ende 2023 abgeschlossen wurde. In dieser Zeit waren zwei REF und zehn Notfallsanitäterinnen und -sanitäter im Kreisgebiet unterwegs. Während der Standort Waygaard (Gemeinde Dagebüll) aufgrund fehlender Personalressourcen nur sporadisch besetzt werden konnte, lieferte der Standort Wobbenbüll mit einer durchschnittlichen Besetzungsauslastung von 76 Prozent über vier Jahre verlässliche Testdaten. Er deckte neben Hattstedt und Wobbenbüll schwerpunktmäßig vor allem Nordstrand ab – ein Gebiet, das nicht immer innerhalb der Hilfsfrist von zwölf Minuten, die das Rettungsdienstgesetz des Landes vorgibt, erreicht wird. Untergebracht war die Besatzung in einer ehemaligen Ferienwohnung.
Ergebnisse bestätigen Erfolg des Projekts
Rund 2.400-mal rückten die REF während des Projektzeitraums aus, wie Leonie Hannappel, stellvertretende Direktorin des IRuN, im Rahmen der Abschlussveranstaltung berichtete. In die Analyse des Instituts flossen vor allem Einsätze mit den folgenden Hintergründen ein: Herz-Kreislauf-Stillstand/Reanimation (71-mal), Polytrauma/Schwerverletzte (12-mal), Schlaganfall (136-mal), Sepsis (29-mal), mögliches schweres Schädel-Hirn-Trauma (3-mal) sowie ST-Hebungsinfarkt (41-mal).
Im Mittelwert erreichte die REF-Besatzung den Patienten nach acht Minuten, der RTW traf bei denselben Einsätzen nach 13 Minuten ein. Damit verkürzte das REF das versorgungsfreie Intervall um fünf Minuten. Auch die vor-Ort-Zeiten des RTW konnten im Mittelwert um neun Minuten – von 30 auf 21 Minuten – durch die REF-Beteiligung reduziert und Kliniken entsprechend schneller erreicht werden.
„Unsere Einsatzkräfte mussten sich zunächst an die neue Struktur gewöhnen, waren aufgrund der Erfahrungen aber schnell überzeugt. Das REF ist wesentlich wendiger und leichter als ein RTW und kommt daher auch zügiger an entlegenere Orte. Bei einem Einsatz auf der Hamburger Hallig beispielsweise konnte ein Patient so zehn Minuten früher versorgt werden“, berichtete Lindner.
Und noch einen Vorteil hielt er fest: „Die Besatzung des RTW erhält schon während der Anfahrt per Funk vom REF die wichtigsten Informationen und kann die benötigte Ausrüstung so bereits vorbereiten – auch das spart Zeit.“
Ob die Überlebensrate der Patienten im Vergleich von Einsätzen mit REF zu solchen ohne im Projektzeitraum gestiegen ist, lässt sich allerdings nicht mit hinreichender Genauigkeit feststellen. Die Gründe: Zum einen ist die Fallzahl für eine solche Auswertung noch zu gering, zum anderen fehlen Angaben zum Behandlungsergebnis der Kliniken.
Zukunft des REF im Kreisgebiet
„Gleichwohl sehen wir unser Pilotprojekt als vollen Erfolg an. Denn die Daten des IRuN und die Praxiserfahrungen unserer Einsatzkräfte zeigen, dass das REF in lebensbedrohlichen Situationen frühestmöglich eine stabilisierende Versorgung einleitet – und im Ernstfall zählt jede Minute. Als ergänzendes Rettungsmittel kann es dazu beitragen, die Notfallstruktur in Nordfriesland zu entlasten und effektiver zu gestalten“, hielt Landrat Lorenzen fest.
Er bedankte sich im Rahmen der Veranstaltung bei Dr. Oliver Grundei, Staatssekretär im schleswig-holsteinischen Gesundheitsministerium, den Krankenkassen sowie dem IRuN für die Unterstützung des Projekts. Besonders hob er das Engagement der REF-Besatzungen und Rettungsdienste hervor, die dieses mit Leben erfüllt hatten. Zum Abschluss überbrachte er den Anwesenden noch eine gute Nachricht: Der REF-Standort in Wobbenbüll ist inzwischen in den Regelbetrieb überführt worden und weitere sollen entstehen, um das Sicherheitsniveau in der Region zusätzlich zu erhöhen.